Geschichte des Zimmertheaters

Klein aber fein – und anspruchsvoll.

Spannendes Theater am Puls der Zeit, mit Spaß und Freude den Themen des sich beständig wandelnden Lebens nachspüren – und das hautnah wie nirgendwo sonst für die Zuschauer: das ist das Erfolgsrezept des ältesten Privattheaters Deutschlands im Herzen der Alststadt Heidelbergs im malerischen Hinterhof-Ambiente. Sein unermüdliches Bestreben, zeitgenössische Theaterstücke in Erst- und Uraufführungen auf die Atelierbühne mit seinen 93 Zuschauersitzen zu bringen und hervorragende Inszenierungen haben das Zimmertheater in seinem über fünfzigjährigen Bestehen nicht nur zu einem festen Bestandteil Heidelbergs werden lassen sondern auch weit über die Grenzen Heidelbergs hinaus bekannt gemacht.

Kurz vor der Jahrtausendwende war es soweit: Am 8. Januar 2000 rundete sich der goldene Geburtstag, der das ganze Jahr 2000 hindurch ausgiebig gefeiert wurde. Den Höhepunkt bildete ein Empfang durch die Stadt Heidelberg am 6. Mai 2000.

Ein halbes Jahrhundert Privattheater! Eine seltene Leistung in der beständig schwierigen deutschen Theaterlandschaft!

Wohl keiner der fünf jungen Schauspieler, die es aus verschiedenen Gründen nach Heidelberg verschlagen hatte, hat sich das träumen lassen, als sie sich im Januar 1950 zu einem Theaterkollektiv zusammenfanden, aus Liebe zum Theater und aus purer Lebensnotwendigkeit im noch desolaten Nachkriegsdeutschland, das wenig Beschäftigungsmöglichkeiten für Schauspieler bot. Einer von ihnen war Jochen Ballin, der als Mitbegründer bis heute dem Zimmertheater angehört.

Ihren ersten Spielraum fanden sie bei den Amerikanern im Girl-Center in der Weststadt.

Der Erfolg schon ihrer ersten Inszenierung – „Die glücklichen Tage“ von Claude A. Puget -, die nach 70 Vorstellungen in Heidelberg in fast allen Amerika-Häusern Deutschlands gezeigt wurde, ermöglichte es ihnen, soviel Geld zurückzulegen, daß im Juni 1951 eigene Räume, ein ehemaliges Fotoatelier, angemietet werden konnten, die mit viel Eigenarbeit und Organisationstalent zur Theaterspielstätte hergerichtet wurden.

Diese Räume sind das Domizil des Zimmertheaters bis heute geblieben – trotz aller Schwierigkeiten, besonders finanzieller Art, hervorgerufen auch durch Umbauten, die entweder aus bau- und feuerpolizeilichen Gründen notwendig wurden oder einfach dem Wohlbefinden der Zuschauer zugedacht waren. So spiegelt heute der Eingangsbereich, das Foyer im Erdgeschoß, das in seinem leuchtenden Blau dem Salon einer Villa gleicht, mit stilvollen Zweiersofas, Bildern von Schauspielern an den Wänden und seiner kleinen Bar, die offene und freundliche Atmosphäre des Zimmertheaters wider.

Das Überleben, die Erscheinung und der Erfolg des Zimmertheaters sind vor allem das Verdienst seiner drei Leiter, die es zu verschiedenen Zeiten mit Hingabe, Kraft und Geschick durch alle Fährnisse und zu allen Höhepunkten gesteuert haben, und es zu einem ständig neuen und nachhaltigen Erlebnis haben werden lassen.

Der erste von ihnen war Karl-Heinz Walther, der primus inter pares des Gründerteams, der als Schauspieler mit seinen leidenschaftlichen Darstellungen die Zuschauer beeindruckte.

Ihm folgte 1961 Gillis van Rappard, der nicht nur ebenfalls als Schauspieler faszinierte, sondern vor allem auch als Regisseur herausragende Inszenierungen präsentierte.

Diese Tradition wurde 1985 von Ute Richter fortgesetzt. Seit 1967 am Zimmertheater, zunächst als Dramaturgin und rechte Hand von Gillis van Rappard, dann ab 1976 auch selbst inszenierend – gleich ihre erste Inszenierung, Peter Shaffers „Equus“ war ein sensationeller Erfolg -, leitet sie nunmehr seit über 30 Jahren die Geschicke des Zimmertheaters.

Neben ihren ausgezeichneten und unglaublich zahlreichen Inszenierungen – in den letzten Jahren u.a. „Scherben“ von Arthur Miller, „Drei auf der Schaukel“ von Ivan Menchell, „Der Freigeist“ und „Enigma“ von Eric-Emmanuel Schmitt und „Der letzte Gold“ von Jonathan Tolins – zählen zu Ute Richters Leistungen die Ausrichtung der „7. Baden-Württembergischen Kleintheatertage 1990“, Gastspiele und -inszenierungen in St. Petersburg und nicht zuletzt eine 94-98prozentige Platzausnutzung.

Natürlich kann ein so kleines Theater nicht allein von den Eintrittsgeldern leben. Wesentlich zur Finanzierung der Ausgaben tragen der „Förderverein der Freunde des Zimmertheaters“, der sich seit 1953 die Aufgabe gestellt hat, das Fortbestehen dieses Theaters zu sichern, sowie die Stadt Heidelberg und das Land Baden-Württemberg mit ihren Zuschüssen bei.

Eigentlich eine recht gute Basis, doch die allgemeinen Kostensteigerungen machen auch nicht vor einem Theater halt, und gute Schauspieler, die von Stück zu Stück aus ganz Deutschland und auch der Schweiz und Österreich engagiert werden, spielen nicht umsonst. Zudem war das Zimmertheater von der Kündigung der angestammten Spielstätte im Jahre 2005 bedroht.

Dennoch, das Zimmertheater wird mit Sicherheit weiterleben, bald 65 Jahre ist kein Alter, im Gegenteil Anlaß zu einem neuen Aufbruch! Und mit jungem Geist, frischen Kräften, voller Dynamik und Wagemut wird diese Heidelberger Theaterinstitution auch weiterhin lebendiges Theater machen: auf der Höhe der Zeit, in der Auseinandersetzung mit den geistigen und gesellschaftlichen Verhältnissen und Befindlichkeiten der Gegenwart und den Herausforderungen der Zukunft, für Herz und Verstand, für das Publikum!

(Horst H. Walter)